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Sonntag 09.03.2025:Ankunft in Santiago de Compostela

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Datum:
9. März 2025
Von:
Annika, Eileen

Wir waren beide nachts zwischendurch wach, wodurch die ohnehin schon wenigen Stunden Schlaf noch kürzer waren. Egal, morgens waren wir aufgeregt genug, um innerhalb von fünf Minuten aus dem Schlafsack zu springen. GoGo wusste gar nicht, wie ihr geschah, als sie mitten in der Nacht gesattelt wurde und plötzlich durch den strömenden Regen laufen musste. Sie hat es aber mit Fassung getragen.

Auf dem Weg in die Stadt hinein kamen die Emotionen und die Aufregung in Wellen. Es schwankte zwischen ‚wie bin ich eigentlich hier hingekommen?‘ und ‚Wahnsinn, es ist soweit‘. Wir kamen an einigen dunklen Herbergen vorbei, wo die anderen Pilger noch seelenruhig in ihren Betten lagen – oder vielleicht ähnlich wie wir nicht schlafen konnten?

Wir kamen gut voran und konnten sogar nochmal ein bisschen Graspause für GoGo machen. Um 07:10 Uhr war es dann soweit. Wir gingen eine letzte Treppe hinunter und da war es: ein riesengroßer Haufen Steine in schöner Form gemauert… Eigentlich sehr unspektakulär aber für uns wahnsinnig bedeutsam. Wir haben es geschafft! Über 6 Monate und 2830 km lang haben wir Flüsse überquert, Berge erklommen, bei Sturm, Regen und Schnee draußen übernachtet, geschwitzt und gefroren, gelacht und geweint. Es war nicht nur leicht, es war zwischendurch auch immer wieder unfassbar schwer, aber wir haben immer an uns geglaubt und sind zusammen bis an diesen fernen Ort gekommen. Und so standen wir da im strömenden Regen und im Dunkeln auf dem berühmten Praza do Obradoiro und weinten.

Außer uns war noch niemand da, was an diesem sonst so überlaufenen Ort wirklich besonders ist. Wir machten ein paar obligatorische Fotos und gingen dann zügig den Eingang suchen, um pünktlich um halb zur Messe da zu sein. Aber wir hatten nach wie vor ein Problem. Was machen wir solange mit GoGo? Ganz getreu dem Motto ‚hab Vertrauen, es wird schon funktionieren‘ waren wir um 20 nach an der Tür. Dort stand ein Mann von der Security und Eileen fragte ihn, ob wir GoGo vor der Tür anbinden dürfen. Er sagte nein, sie guckte traurig und fragte, ob er eine andere Idee hätte. Er sagte nein und sie guckte wieder traurig. Nach wie vor standen wir im strömenden Regen. Scheinbar hatte er jetzt doch Mitleid und fing an zu telefonieren.

Zwischendurch kam eine Frau auf dem Weg zur Messe an uns vorbei, sie wollte aber auch nicht auf GoGo aufpassen. Inzwischen hatte uns der Security Mann bedeutet zu warten. Weitere ungewisse Minuten später das Ergebnis der Besprechung: wir dürfen GoGo doch anbinden und vor der Tür lassen! Unfassbar nett und das obwohl wir nicht mal die eigentlich nötige Erlaubnis haben mit Pferd in die Stadt zu kommen. 🤫 4 Minuten vor Messbeginn war alles geklärt, die Rucksäcke blieben wegen Terrorgefahr auch draußen im Regen und wir machten uns zügig auf die Suche nach dem richtigen Bereich in dieser sehr weitläufigen Kathedrale.

Der Hauptaltar war kaum zu übersehen, er strahlte schon von weitem in goldener Pracht mit unendlich vielen filigranen Details. Kaum saßen wir, ging es auch schon los. So früh morgens ist hier kaum jemand. Es waren nur etwa 20 Personen außer uns in der Messe, was für uns genau richtig war: unaufgeregt und besinnlich in kleinem Rahmen. Während der Messe wurden wir langsam ruhig und hatten das Gefühl wirklich anzukommen.

Wir zündeten danach noch reichlich Kerzen an, besuchten das Jakobus Grab und gingen ausgiebig im Souvenirladen einkaufen, durch den man ganz zufällig durchlaufen musste, um nach draußen zu kommen.

Nach der Messe war es zwar hell, aber immer noch am Schütten. Da verging uns spontan die Lust einkaufen zu gehen und wir setzten uns stattdessen in den nächsten Bogengang, aßen unser zweites Frühstück und warteten bis wir um 10 Uhr am Pilgerbüro unsere offizielle Bescheinigung abholen können: die Compostela.

Eigentlich darf man mit Pferd nur bis um 9 Uhr und sowieso nur mit Erlaubnis durch Santiago de Compostela hindurch. Wir hatten natürlich keine Erlaubnis, die hätte man schon vor über einem Monat für einen genauen Tag beantragen müssen. Stattdessen waren wir also mal wieder nette, blonde Ausländerinnen, die leider nur un poquito Spanisch sprechen. Das entspricht zwar nur in Teilen der Wahrheit, aber Eileen spricht immer nur so viel Spanisch, wie es gerade passt. 😝😎

Auf dem Weg zum Pilgerbüro liefen wir natürlich prompt der Polizei in die Arme. Mit so einem Pferd ist man nicht gerade unauffällig… Sie hielten uns selbstverständlich an und sagten, dass wir ohne Erlaubnis nicht hier sein dürfen. Eileen machte ein überraschtes Gesicht, sagte dass wir nur noch zum Pilgerbüro wollen und dann zum nächsten Stall laufen. Der Polizist bedankte! sich bei uns für das Verständnis und sie fuhren weiter. Dafür, dass wir hier am laufenden Band illegale Sachen machen, läuft es echt gut. Wir sind aber auch einfach so nett und haben ein so hübsches Pferd dabei… Gut, dass GoGo nicht hässlich ist!

Der Weg zum Pilgerbüro dauerte etwas länger, weil wir noch einer ganzen Busladung deutscher Touris begegneten. Ihre portugiesische Reiseleitung machte gerne noch ein Foto von uns mit der Kathedrale im Hellen und plötzlich stand die ganze Reisegruppe aufgereiht vor uns und machte begeistert Fotos, als wären wir irgendwo auf dem roten Teppich. Nachdem wir in Ruhe alle Fragen beantwortet und uns etwas amüsiert hatten, ging es nun endlich zum Büro. Eileen war zuerst dran: Nummer ziehen, warten, zum Schalter gehen. Die nette Dame sprach sogar fließend Englisch, wunderbar! Nach einem Blick auf unsere fleißig gestempelten Pässe kam sie aus dem Staunen nicht mehr raus. ‚you are truly a crazy woman‘… umblätter ‚amazing!‘. Annika war als nächstes dran. Leider gibt es für Pferde kein Zertifikat, aber zumindest einen schönen Stempel.

Natürlich wollten wir nicht nur die Compostela, sondern auch das Distanzzertifikat, aber wie viele Kilometer kommen da überhaupt drauf? Wir haben uns natürlich vorbereitet und das ausgerechnet. Seit unserem Start in Köln 2019 waren es insgesamt 2830 Kilometer und die bekamen wir jetzt auch aufs Zertifikat. Etwas später hielten wir jeweils zwei wunderschöne, wertige Papierstücke in der Hand und bekamen das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Das ist fast wie Zeugnisvergabe. An der Kasse konnte man für 2€ noch eine hübsche Rolle zum verpacken kaufen, schließlich muss das alles noch ein bisschen den Rucksack überleben.

Nachdem wir erfolgreich unsere Compostela abgeholt hatten, machten wir uns auf den Weg aus der Stadt heraus. Unser Schlafplatz war schon gesichert, nur der Weg dorthin musste noch gelaufen werden.

GoGo hatte großen Hunger, also machten wir bald eine großzügige Pause auf einer anständigen Wiese. Danach machten wir uns wieder auf den Weg, der sich ins Unendliche zog. Jedesmal, wenn wir auf die verbleibenden Kilometer schauten, waren es genau so viele wie vorher. Merkwürdig.

Wir waren super müde, aber bei dem wechselhaften Wetter hatten wir auch keine Lust uns irgendwo in die Büsche zu schlagen, also schleppten wir uns weiter. Um 18:00 Uhr hatten wir es endlich geschafft: mal eben schnell eine der weitesten Strecken des letzten Monats hinter uns gebracht und an einem Tag mehr erlebt als sonst in einer ganzen Woche.

Vollkommen fertig aber auch sehr zufrieden kamen wir am Stall an und schlugen unser Lager in der Stallgasse auf. Die Besitzerin war super nett und tiefenentspannt mit unserer Anwesenheit, GoGo bekam eine ganze Schubkarre Heu für ihren großen Hunger und wir konnten uns endlich etwas ausruhen.

Obwohl wir so müde waren, konnten wir abends zuerst nicht schlafen. Es war einfach noch zu viel zum Verarbeiten im Kopf. Am nächsten Morgen schliefen wir dafür ganz in Ruhe aus und fühlten uns wieder deutlich erholt.

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