Indisches Christentum mit viel Charme erläutert

 

Christen stellen lediglich zwei Prozent der Gesamtbevölkerung von Indien. Im Bundesstaat Kerala, der christlich missioniert wurde, sind knapp 18,4 Prozent der Einwohner Christen, berichtete Pater Jerry Matthew Paravakkal am 13. Januar bei einem Vortrag vor etwa 60 Zuhörern im Forum Wahlscheid. Für Gesamt-Indien sowie für seinen Heimatstaat Kerala hatte er per power point weitere Zahlen-Details bereit, stellte daneben aber die örtliche Situation anhand von erzählten Beispielen religiöser Praktiken und Gewohnheiten immer wieder in den Mittelpunkt.

 

Zunächst referierte Pater Jerry etwas Missionsgeschichte: Als 1542 der Jesuit Franz Xaver das Christentum nach Indien bringen wollte, stellte er fest, dass es da bereits Christen gab. Man nimmt an, dass der Apostel Thomas schon sehr früh nach Christi Tod und Auferweckung nach Indien aufgebrochen war und dort christliche Gemeinden gründete. Man nennt deren Nachfahren heute „Thomas-Christen“, die eigene Gottesdienst-Riten haben und die sich dabei in zwei Gruppen teilen: die des syro-malabarischen Ritus (seit 1642 mit Rom uniert), und die des syro-malanharischen Ritus.

 

Mit den Ordensleuten der „Unbeschuhten Karmeliten“, die im 17. Jahrhundert nach Indien kamen, kam auch der lateinische Ritus der katholischen Kirche nach Kerala. Die „lateinischen“ Christen in Kerala leben und praktizieren ihren Glauben heute auf eine Weise, wie Katholiken in Westeuropa das etwa bis Anfang der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch praktizierten: das tägliche Abendgebet der Kinder zum Beispiel findet um 19 Uhr statt, das der Erwachsenen um 19:30 Uhr. Das Fernsehen, auch in Indien allgegenwärtig, verschiebt diese Tradition, räumte Pater Jerry ein. Es gibt für die Kinder ab dem 5. Lebensjahr eine etwa anderthalbstündige Sonntagskatechese (wohl vergleichbar mit der früheren „Christenlehre“ hierzulande nach der Sonntagsmesse). Ab der 10. Klasse sind alle Kinder zum sonntäglichen Religionsunterricht verpflichtet, es gibt dafür eine Urkunde. Die Erstkommunion-Vorbereitung der Kinder geschieht während der zweimonatigen Schulferien im April und Mai mit täglich etwa anderthalb Stunden Unterricht. Während dieser Zeit gibt es für diese Kinder keine Sonntagskatechese, berichtete Pater Jerry.

 

In vielen Bereichen des Alltags sind die Christen an die indische Gesellschaft angepasst. So werden etwa die Frauen nicht per Händedruck gegrüßt. Frauen und Mädchen dürfen nach 18 Uhr nicht außer Haus sein. Die Ehen werden von den Brauteltern arrangiert, die Brautleute sehen sich vor der Heirat kaum. Hiergegen hat das indische Christentum als religiöse Minderheit offenbar kein wirksames Mittel. Andererseits ignorieren indische Christen das althergebrachte, auch gesetzlich verbotene Kastenwesen, und bringen so einen Ansatz von Modernität in die Gesellschaft ein.

 

Zum Selbstverständnis einer christlichen Familie gehört es im westindischen Kerala, dass aus der Familie eine Krankenschwester hervorgeht, berichtete Pater Jerry. Das Erbe einer Familie steht gewöhnlich dem jüngsten männlichen Sproß zu. Jerry selbst ist der jüngere der beiden Söhne seiner Familie, so geht das Erbe, weil er Ordensmann wurde, an seinen älteren Bruder.

 

Pater Jerry gehört zu der Gruppe der sechs indischen Patres vom Orden der Unbeschuhten Karmeliten, die seit Mitte 2013 im ehemaligen Schüler-Internatsgebäude der Benediktiner auf dem Siegburger Michaelsberg wohnen und jetzt die Seelsorge für umliegende Pfarreien und auch für die Besucher des KSI besorgen. Jerry ist mit einer halben Stelle Mitglied des Pastoralteams der Pfarrei St. Johannes in Lohmar.

 

Der Vortrag konnte die gesellschaftliche Situation und die Glaubenspraxis der „lateinischen“ Christen in Kerala auch aufgrund der Kürze der Zeit natürlich nur allgemein skizzieren. Es gab eine Menge Fragen an den Vortragenden, die Pater Jerry gerne in seiner charmant-freundlichen Art beantwortete.

 

Pater Jerry war auf Einladung der Gruppe „Offene Kirche Wahlscheid“ in das Forum gekommen. Der Leiter der Gruppe, Werner Reuter, begrüßte und verabschiedete den Referenten ganz herzlich.

 

Text/Foto: -ws